Die Umsetzung der Wissenschaft in die klinische Praxis war das Thema der diesjährigen Tagung der Internationalen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen, auch bekannt als MDS.
Der internationale Kongress der Movement Disorder Society (MDS) ist der weltweit größte und bedeutendste Kongress über Parkinsonsyndrome und andere neurologische Bewegungsstörungen. Er bietet einen umfassenden Überblick über aktuelle Forschungen und fand in diesem Jahr in Nizza statt. Aus der Fülle an Informationen möchte ich nachfolgend einige wenige ausgewählte Neuigkeiten für Sie zusammenfassen. Im Vergleich zu früheren Kongressberichten stelle ich Ihnen die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse unter der Flagge des forschenden Pharmaunternehmens vor:
AbbVie
Das Pharmaunternehmen Abbvie mit seinem Produkt Duodopa ist sicher allen bekannt. Duodopa ist ein L-DOPA/Carbidopa enthaltendes Gel, welches über eine Sonde in den Dünndarm geleitet wird (ähnlich einer Magensonde), Markteinführung in Deutschland 2006. Duodopa enthält 20 mg Levodopa und 5 mg Carbidopa pro 1 ml Gel, es stehen Kassetten mit je 100 ml Gel zur Verfügung (2000 mg L-Dopa). Täglich wird eine neue Kassette in eine Pumpe eingelegt, über diese wird die Sonde befüllt, ähnlich einer Infusion.
Über die Website https://www.abbvie-care.de/erkrankung/parkinson/was-ist-parkinson/ wird eine umfangreiche Aufklärung einschließlich Servicematerial zu Duodopa angeboten.
In der wissenschaftlichen Pipeline bei AbbVie sind folgende Wirkstoffe:
ABBV-951
Auf vier Postern wurden die Studienergebnisse zu ABBV-951 vorgestellt. Dahinter verbirgt sich eine neue lösliche Formulierung von L-Dopa/Carbidopa, welche mit Hilfe einer Pumpe unter die Haut infundiert wird (subkutan). Die Vorgehensweise erinnert an die Apomorphin-Pumpe.
ABBV-0805 (BAN0805)
Seit 2016 forscht die Firma auch an einem Antikörper gegen Alpha-Synuclein mit dem Ziel der Krankheitsmodifikation, um das Fortschreiten der Krankheit zu stoppen oder zu verlangsamen (BioArctic). Das Forschungsprojekt basiert auf Arbeiten der Universität Uppsala in Schweden. Die erste klinische Studie begann im März 2019. BioArctic entwickelt die Folgesubstanzen (PD1601 und PD1602) im Rahmen der Zusammenarbeit mit AbbVie weiter (https://www.bioarctic.se/en/parkinsons-disease-2545/).
Mitsubishi Tanabe Pharma Corporation (NeuroDerm)
Den israelischen Pharmakonzern NeuroDerm kennen wir bereits von früheren Kongressberichten. In der Zwischenzeit wurde die Firma von Mitsubishi Tanabe Pharma Corporation übernommen. Die Hoffnung auf das vor Jahren in der Pipeline befindliche L-Dopa-Pflaster hat sich jedoch zerschlagen. Aktuell arbeitet die Firma an einer flüssigen Form von Levodopa/Carbidopa (LD/CD), verabreicht über eine Infusionspumpe zur Abgabe des Wirkstoffes unter die Haut (subkutan), von der Handhabung ähnlich der bereits bekannten Apomorphin-Pumpe. Je nach Krankheitsschwere werden Pumpen mit ein- oder zwei Ampullen vorgestellt.
Das Produkt trägt den Namen ND0612. Die Zulassung ist vorgesehen für Patienten im mittleren bis späten Krankheitsstadien mit langen off-Phasen trotz hoher oraler L-Dopa Dosis (maximal 720/90 mg LD/CD). In Studien konnte durch die subcutane Infusion eine deutliche Glättung der Wirkungsschwankungen, eine Verkürzung der off-Phasen und eine Reduktion störender Überbewegungen demonstriert werden. Aktuell noch aktive Studien: BevoND, Phase III-Studie BouNDless (https://neuroderm.com/clinical-trials/ongoing-clinical-trials/). Die Ergebnisse der bisherigen Studien wurden auf mehreren Postern vorgestellt und waren eindrucksvoll.
Zusätzlich zur Levodopa-Pumpe entwickelt NeuroDerm eine neuartige Formulierung für die kontinuierliche Apomorphin-Therapie. Apomorphin ND0701 wird über eine Patchpumpe (Pflasterpumpe) verabreicht und befindet sich derzeit in klinischen Studien der Phase I.
Acorda
Acorda Therapeutics (1995 gegründetes amerikanisches Biotechnologieunternehmen) stellte sein in den USA im Dezember 2018 von der FDA zugelassene L-Dopa-Inhalationspulver vor, Handelsname Inbrija™. Zugelassen ist das Inhalationspulver zur Unterbrechung von „off“-Phasen bei Patienten mit fortgeschrittenem M. Parkinson und Wirkungsschwankungen, welche durch eine orale Medikation nicht ausreichend geglättet werden können. Am 23. September 2019 erfolgte die EMA-Zulassung für Europa (Quelle: Europäische Kommission – EPAR – 26. September 2019).
sensidose - L-Dopa/Carbidopa-Mikrotabletten
Ein schwedisches Unternehmen hat eine elektronische Dosierhilfe für die Einnahme von L-Dopa entwickelt. Das besonders Interessante daran ist eine neue, wasserlösliche Formulierung von L-Dopa/Carbidopa. Diese Mikro-Tabletten sehen aus wie kleine weiße Kügelchen und enthalten 5 mg L-Dopa in Kombination mit 1.25 mg Carbidopa. Der Handelsname dieses Präparates ist Flexilev®, die Zulassung erfolgte in Schweden im März 2014. Die Einnahme von Flexilev ist an die elektronische Dosiereinrichtung MyFID® gebunden und dient einer individualisierten und auf 5 mg genauen Einnahme von L-Dopa. Die gewünschte Menge kann per Tastendruck vorgegeben werden, z.B. 50 mg - auf erneuten Tastendruck öffnet sich das System und 10 kleine Flexilev Kügelchen rollen in ein dafür bereitstehendes Glas. Mit Wasser aufgefüllt kann das lösliche Medikament dann getrunken werden. Das Gerät speichert die Einnahmezeiten und Dosierungen und enthält eine Symptomstatistik. Es erinnert akustisch an vorgegebene Einnahmezeiten und ermöglicht und dokumentiert auch zusätzliche, sogenannte Bolusgaben. Weitere Informationen: https://sensidose.se/en/movies-and-manuals-2/
L-Dopa Nasenspray
Eine indische Forschergruppe berichtete in einem Poster über die Entwicklung einer intranasalen Verabreichungsform von L-Dopa/Carbidopa (mucoadhäsives Mikrosphären-Aerosol). Das Nasenspray hat ebenfalls das Ziel, die Bioverfügbarkeit von L-Dopa zu verbessern und Wirkungsschwankungen zu vermeiden. Sein Vorteil: durch die Verabreichung über das olfaktorische System wird die Aufnahme über die Blut-Hirn-Schranke vollständig umgangen, dadurch tritt die Wirkung im Vergleich zu anderen Formulierungen früher ein.
Theravance Biopharma (Süd San Francisco, Kalifornien)
Studien-Medikament: Ampreloxetin (TD-9855)
Studien ID: NCT03750552, NCT03829657
Ampreloxetin ist ein Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer zur Therapie der symptomatischen neurogenen orthostatischen Hypotonie (snOH) zur einmal täglichen Einnahme (oral) Was versteht man unter symptomatischer neurogener orthostatischen Hypotonie? Bei einigen Patienten mit M. Parkinson, Multisystematrophie oder reinem autonomem Versagen (RAV, engl. PAF pure autonomic failure) kann das autonome Nervensystem den Blutdruck nicht ausreichend regulieren. In Folge dessen kann es zu einem plötzlichen Abfall des Blutdrucks im Stehen kommen mit Symptomen wie Schwindel, Benommenheit, Gefühl ohnmächtig zu werden oder Verschwommensehen kommen.
SEQUOIA Phase III Studie (mehr dazu: https://thesequoiastudy.com/)
“Clinical Effect of Ampreloxetine (TD-9855) for Treating snOH in Subjects With Primary Autonomic Failure”
In dieser interventionellen (experimentellen), randomisierten, vierfachblinden Phase III Studie werden Wirksamkeit und Verträglichkeit von Ampreloxetin bei 188 Patienten mit Parkinson, Multisystematrophie und RAV (Kanada, USA) gegen ein Scheinmedikament (Placebo) überprüft. Studienstart Januar 2019, die Ergebnisse werden in der zweiten Jahreshälfte 2020 erwartet. In der oben erwähnten zweiten Phase-III Studie gibt es eine 6-wöchige Auswaschphase. In einer bereits abgeschlossenen Phase-II-Studie wurde Ausmaß und Dauer der Wirkung in einer kleinen Machbarkeits-Studie (Proof-of-Concept) über 20 Wochen überprüft.